Die angstfreie Organisation

Natürlich haben wir alle schon davon gehört, dass es in guten Teams wichtig ist, Fehler zu machen, und dass Scheitern irgendwie dazu gehört, haben wir spätestens bei diversen Fußballturnieren zur Genüge erfahren.
Aber wer scheitert wirklich gerne?
Klar, „schnell scheitern und daraus lernen“ klingt irgendwie sinnvoll, aber noch besser ist es, „gleich alles richtig zu machen“. Zumindest für das eigene Gefühl.

Ich kann für mich sagen, dass es auch für mich persönlich ein langer Weg war (und vielleicht immer noch ist), nicht jedes Mal zusammenzuzucken, wenn jemand sagt „Alex, ich habe da noch ein Feedback für dich“ oder wenn es heißt „Alex, hier hast du wieder einen Fehler gemacht“. Die Trennung von Person und Sache und eben Kritik nicht persönlich zu nehmen, fängt sicher beim Empfänger selbst an.

Das Buch „Die angstfreie Organisation“ von Amy Edmonson nimmt hier mehr die Perspektive der Führungskräfte ein und zeigt, wie wir eine solche Atmosphäre im betrieblichen Umfeld schaffen können. Aber warum?

Menschliche Fähigkeiten können sich nur in einer angstfreien Atmosphäre entfalten.

Es genügt nicht, intelligente und motivierte Menschen einzustellen. In einem Klima der Angst werden sie ihr Wissen nicht voll einbringen.
Wie reagiert mein Chef, wenn ich etwas sage, was noch nicht fertig ist? Darf ich in der Abteilung auch mal eine dumme Idee haben oder werde ich dann ausgelacht? Was passiert, wenn ich mal richtig scheitere?
Ich muss zugeben, dieses Kapitel hat mir als Führungskraft auch noch einmal deutlich gezeigt: Ich bin seit 10 Jahren in unserem Unternehmen. Ich bin Partner und Vorstand. Ich habe jetzt wirklich mit jedem Eigentümer schon mal einen getrunken. Ich habe wirklich keine Angst mehr in diesem Unternehmen.
Aber geht es wirklich allen Mitarbeitenden so? Schaffe ich es, auf jede schlechte Nachricht wirklich ohne Schuldfrage zu reagieren?
Das Buch zeigt als Gegenbeispiel, was eine Kultur der Angst bewirkt. Angst führt dazu, dass sich die Mitarbeitenden der Illusion hingeben, dass Ziele erreicht werden. Das groteskeste Beispiel in diesem Zusammenhang war schließlich der VW-Abgasskandal. Bis der aufflog, waren alle Ziele erreicht.

Bessere Teams machen mehr Fehler, nicht weniger.

Damit bin ich wieder bei meiner Eingangsthese. Die Frage ist, was wir in einem Team brauchen, um wirklich eine positive Kultur des Scheiterns zu etablieren. Die Autorin unterscheidet noch zwischen vermeidbarem Scheitern, komplexem Scheitern und intelligentem Scheitern, aber so weit möchte ich hier nicht gehen.
Für mich hat Scheitern genau dann Qualität, wenn ich daraus lernen kann. Oder noch besser: wenn ich schnell daraus lernen kann.
Jede Woche schaue ich mir alle Zahlen meines Verantwortungsbereichs an, von der Fluktuation bis zur Auslastung. Jede Woche spreche ich mit Mitarbeitern und hole mir Feedback ein. Und ja, jede Woche entdecke ich etwas, was bei mir oder in meinem Team noch nicht optimal läuft.
Das klingt jetzt sehr beruflich, gilt für mich aber genauso für private Themen, vom erholsamen Schlaf bis zum Triathlontraining. Und jedes Mal lautet die ganz einfache Frage: Was kann ich in Zukunft anders machen, damit es klappt?
Achtung, mega Wortspiel: Ein Fehler heißt ja genau deshalb Fehler, weil etwas fehlt. Wenn ich das ergänzen kann, bin ich schon besser geworden. Wunderbar!

Psychologische Sicherheit bedeutet nicht den Verzicht auf Leistungsstandards.

Hier liegt meines Erachtens ein häufiges Missverständnis vor.
Auch wenn das Ziel der psychologischen Sicherheit in einer angstfreien Organisation erreicht werden kann, bleibt das Ziel der Organisation das wirtschaftliche Handeln im Wettbewerb mit der Konkurrenz.
Was bedeutet das konkret? Ja, auch in der angstfreien Organisation können Mitarbeiter gekündigt, Bewerber abgelehnt oder Probezeiten nicht bestanden werden.
Das klingt jetzt etwas widersprüchlich und ich will das auch gar nicht kleinreden, das ist sicherlich eine Herausforderung.
Ich will es ganz nüchtern formulieren: Das Ziel sollte sein, dass niemand überrascht wird, wenn sein Arbeitsverhältnis endet. Ich habe erst gezögert, ob ich diesen Absatz hier reinschreibe, aber er gehört einfach dazu!

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